„So viel mehr als nur ein Dankeschön“
Die siebenjährige Mia bedankt sich mit einem Bild bei ihren ehrenamtlichen BRK-Helfern
HASSFURT - „Liebe Nicole, danke, dass du mir geholfen hast.“ Diese Worte in krakeliger Schrift auf einem bunten Bild mit einem farbenfrohen Regenbogen sind wohl das schönste Dankeschön, dass Nicole Riegler in ihrer bisherigen Tätigkeit als Mitglied der ehrenamtlichen Schnelleinsatzgruppe „Transport 1“ beim Kreisverband Haßberge des Bayerischen Roten Kreuzes (BRK) bekommen hat. Als sie am Freitag die Post öffnet und das selbst gemalte Bild in Händen hält, stehen der 27-Jährigen vor Freude und Rührung die Tränen in den Augen. „Vielleicht sind auch ein bis zwei über mein Wangen gekullert“, seufzt die Rettungssanitäterin.
Mia, sieben Jahre alt, aus dem Stadtgebiet Hofheim, hat zusammen mit ihrer Mama ein kleines Päckchen an Nicole geschickt – als Zeichen des Dankes dafür, dass die junge Rettungssanitäterin zusammen mit ihrem Kollegen Manuel Wambach nach einem schweren Verkehrsunfall zwischen einem Sattelzug und einem Schulbus am Montagmittag (23. November) nahe Hofheim das kleine Mädchen nach einer ersten notärztlichen Versorgung mit einem Krankentransportwagen ins Krankenhaus gebracht hat. „Ein solch wundervolles Dankeschön tut unglaublich gut, und es hat mich sehr gerührt“, sagt Nicole Riegler.
Dass sich die Wege von Mia und Nicole an diesem Montag nahe Hofheim kreuzen, ist Schicksal. Bei der Kollision eines Sattelzuges mit einem mit 20 Kindern besetzten Schulbus werden acht Kinder verletzt, eines davon schwer, drei mittelschwer und vier leicht. Nach ersten Notrufen alarmiert die Integrierte Leitstelle (ILS) Schweinfurt mit dem Schlagwort „Massenanfall von Verletzten“ die Rettungskräfte und setzt damit ein Großaufgebot von Rettungsdienst, Feuerwehr und Polizei in Bewegung. Zunächst muss vom Schlimmsten ausgegangen werden.
Nicole arbeitet seit 2018 als Rettungssanitäterin in Teilzeit beim Bayerischen Roten Kreuz an der Rettungswache in Eltmann und betreibt nebenbei eine Goldschmiede in Oberschwappach. Des Weiteren engagiert sie sich ehrenamtlich in der BRK-Bereitschaft Knetzgau, die im Zuge des Katastrophenschutzes die Schnelleinsatzgruppe (SEG) „Transport 1“ zusammen mit der BRK-Bereitschaft Zeil stellt. Schnelleinsatzgruppen werden von der ILS immer dann zum Einsatz gerufen, wenn eine große Zahl von Patienten zu versorgen und/oder in Krankenhäuser zu transportieren ist; sie unterstützen damit den öffentlich-rechtlichen Rettungsdienst bei Großschadenslagen.
In dieser Funktion als ehrenamtliche Einsatzkraft war Nicole am Montag gemeinsam mit ihrem Kollegen Manuel Wambach mit einem Krankentransportwagen zu dem Schulbusunglück alarmiert worden. „Das war kein Einsatz wie jeder andere“, erinnert sich die 27-Jährige. „Einsätze dieser Art hat man nicht jeden Tag.“ Alleine die erste Einsatzmeldung - „Schwerer Verkehrsunfall mit Lkw und Schulbus, mehr als 25 Verletzte“ – ließ das Schlimmste vermuten. Schon auf der Anfahrt von Knetzgau aus ist Nicole vieles durch den Kopf gegangen, als über Funk die Bestätigung kam, dass ein Schulbus mit Grundschulkindern in den Unfall verwickelt ist. „Ruhig bleiben, nicht den Kopf verlieren“, waren ihre ersten Gedanken.
Als sie mit ihrem Krankentransportwagen rund 15 Minuten später am Unglücksort eintraf, waren bereits mehrere Rettungswagen, zwei Notärzte und der Einsatzleiter Rettungsdienst vor Ort. Sie hatten sich bereits einen groben Überblick verschafft, mit der Sichtung der verletzten Kinder begonnen und sie anschließend medizinisch erstversorgt. Schnell wurde klar, dass sich die schlimmsten Befürchtungen nicht bestätigen würden. Zwar waren 20 Kinder im Bus, aber zum Glück nicht alle verletzt. Die unverletzten kamen schließlich zur weiteren Betreuung ins Rotkreuzhaus nach Hofheim, wo sich BRK-Mitarbeiter und ein Kriseninterventionsteam um die Mädchen und Jungen sowie deren Eltern kümmerten.
Nicole und Manuel bekamen eine Mia als kleine Patientin zugewiesen, um die sie sich sorgen und sie danach ins Krankenhaus transportieren mussten. Beide kümmerten sich um die Siebenjährige, versuchten ihr die Angst zu nehmen und ihr zu helfen, den ersten Schreck zu verarbeiten. Dabei half auch ein kleiner grüner Drache: Das Kuscheltier hatte Mia kurz zuvor von der Feuerwehr geschenkt bekommen und ließ es nicht mehr aus den Händen. Kurzerhand taufte die Rettungssanitäterin den Drachen auf den Namen ihres Kollegen Manuel.
Nach einer weiteren Untersuchung und Behandlung im Krankenhaus geht es Mia körperlich wieder gut. Sie ist zuhause, der Schreck sitzt vermutlich aber noch in den Knochen. „Wir konnten dem Mädchen helfen“, freut sich Nicole Riegler, „das ist für mich persönlich immer ein ganz wichtiger Aspekt.“ Dennoch sind Einsätze mit Kindern für Rettungskräfte immer eine besondere Herausforderung. „Sie sind zum Glück nicht alltäglich, so ein Szenario schon gleich gar nicht“, berichtet die 27-Jährige. Sie ist froh, dass der Schulbusunfall trotz aller Tragik unter dem Strich noch einigermaßen glimpflich ausgegangen ist. „Man denkt sich, was wäre gewesen, wenn…“, überlegt Riegler. Wenn der Bus beispielsweise die mehrere Meter tiefe Böschung neben der Straße hinabgestürzt wäre. Oder wenn er voll besetzt gewesen wäre. Nach so einem Einsatz spreche man mit seinen Kollegen und tausche sich aus. Das helfe, die eigenen Eindrücke und mitunter belastende Momente zu verarbeiten.
Dass Mia und ihre Mama sich nun bei Nicole mit so einer netten Geste bedankt haben, darüber freut sich die 27-Jährige riesig. Schließlich ist das keine Selbstverständlichkeit und angesichts eines solchen Einsatzes auch eine ganz besonders wohltuende Geste. „Ich war in der Werkstatt meiner Goldschmiede“, beschreibst die Oberschwappacherin den Moment, als am Freitag mit der Post einige Pakete kamen – eines davon mit einem ganz besonderen Absender. „Das Paket war von meiner kleinen Patientin von dem Busunglück.“ Den Namen und den Wohnort des Mädchens hatte Nicole natürlich noch im Kopf.
„Ich war richtig aufgeregt, habe alle anderen Pakete zur Seite gelegt und das von Mia geöffnet.“ Dabei fiel der Rettungssanitäterin als erstes der Brief mit dem Gemälde in die Hand, auf dem mehrmals „Danke für die Hilfe“ steht und die Sätze: „Liebe Nicole, danke, dass du mir geholfen hast. Gruß an den großen Manuel. Mia aus…“ Ein bunter Regenbogen, zwei strahlende Gesichter, Blumen, zwei Schmetterlinge und ein kleines Herz schmücken das Bild. Am oberen und unteren Ende ist es mit weiteren Tiermotiven verziert.
„Mir standen vor Rührung die Tränen in den Augen“, beschreibt Nicole den Moment, als sie das Bild in ihren Händen hält. „Ich habe mich riesig gefreut, zudem war auch noch eine meiner Lieblingsschokoladen in dem kleinen Paket mit dabei.“ Für das Bild will Nicole zuhause bei sich einen Ehrenplatz reservieren.
Stichwort Ehrenamt:
Beim BRK-Kreisverband Haßberge engagieren sich in den verschiedensten Bereich insgesamt rund 1400 Helferinnen und Helfer in den vier Gemeinschaften Bereitschaft, Wasserwacht, Jugendrotkreuz sowie Wohlfahrt- und Sozialarbeit.
Alleine bei den neun Bereitschaften Haßfurt 1 und 2, Eltmann, Ebern, Hofheim-Königsberg, Knetzgau, Memmelsdorf, Untermerzbach und Zeil sind es rund 450. Die Bereitschaften haben im Rahmen des Katastrophenschutzkonzeptes verschiedene Aufgaben und stellen unterschiedliche Schnelleinsatzgruppen (SEG). Davon gibt es insgesamt zehn beim BRK:
- SEG Behandlung (Bereitschaften Hofheim und Knetzgau)
- SEG Transport 1 (Knetzgau und Zeil)
- SEG Transport 2 (Ebern)
- SEG Betreuung (Haßfurt und Untermerzbach)
- SEG Verpflegung (Hofheim)
- SEG Technik und Sicherheit (Memmelsdorf)
- SEG Gefährliche Stoffe und Güter (Haßfurt und Zeil)
- SEG Information und Kommunikation (Eltmann)
- EG Wasserrettung (Wasserwachten Haßfurt, Sand, Eltmann)
- SEG Rettungshundestaffel
So ein Dankeschön tut nach Rieglers Worten unglaublich gut. Viel zu oft wird nach ihrer Einschätzung vor allem die ehrenamtliche Arbeit von Rettungskräften nicht geschätzt oder sie als selbstverständlich angesehen. „Das ist sie aber nicht“, sagt die 27-Jährige, die sich gerne und leidenschaftlich für ihr Ehrenamt beim Roten Kreuz einsetzt und dafür Freizeit opfert. Gerade derartige Einsätze wie der beim Schulbusunfall würden zeigen, wie wichtig ehrenamtliches Engagement für die Gesellschaft sei. Egal ob beim Roten Kreuz in einer Schnelleinsatzgruppe oder bei Feuerwehren und anderen Hilfsorganisationen. „Alle Helferinnen und Helfer tun das freiwillig, lassen für andere Menschen in Notsituationen alles stehen und liegen, setzen sich selbst Gefahren aus, bilden sich weiter und ernten dafür oft nicht mal ein Lächeln, stoßen manchmal sogar noch auf Unverständnis“, sagt Nicole. Umso mehr sei „ein solch wundervolles, ehrliches und persönliches Dankeschön wie das von Mia so viel mehr als ,nur‘ ein Dankeschön“.
Wenn Nicole Riegler von ihren ganz persönlichen Erfahrungen beim Roten Kreuz und im Ehrenamt erzählt, klingt das wie ein Plädoyer an andere, sich ebenfalls ehrenamtlich zu engagieren. 2016 ist sie durch ihren besten Freund über die BRK-Bereitschaft Knetzgau noch zusätzlich in den Rettungsdienst „gerutscht“, ist ehrenamtlich mitgefahren, hat in der Folge die Ausbildung zur Rettungsdiensthelferin und anschließend zur Rettungssanitäterin absolviert. „Die Abwechslung, die Gemeinschaft, neue Freunde, Menschen helfen zu können, auch an die eigenen Grenzen zu gehen, persönlich über sich hinaus zu wachsen und viele neue Erfahrungen“ machen für Nicole ihr Ehrenamt zu etwas ganz Besonderem. „Ich habe noch keine einzige Minute lang bereut, dass ich diesen Weg gegangen bin.“
PM 072 / 2020 . Text: Michael Will / BRK; Fotos: Nicole Riegler / Patrick Riegler.