Hier informieren wir regelmäßig mit aktuellen Presseinformationen und Meldungen über die Arbeit des BRK Kreisverbands Haßberge.

· Pressemitteilung

Ihr größter Wunsch für 2011: Endlich eine Arbeitsstelle.

Haßfurt. Zahllose Bewerbungen hat Irina Sytnikov aus Haßfurt in den letzten Jahren geschrieben. Oft, erzählt die Aussiedlerin, habe sie nur eine lapidare, vorformulierte Absage geerntet, und manche Firmen gaben überhaupt keine Rückmeldung. Und plötzlich bricht die jahrelange tiefe Enttäuschung aus der Aussiedlerin heraus: "Man kann doch einem Menschen nicht sagen, Sie sind jetzt 60 Jahre alt, da können Sie sich gleich auf den Friedhof legen", sagt sie verbittert.

Wir treffen Frau Sytnikov in der Migrationsberatungsstelle des BRK in Haßfurt. Etwa zweimal im Monat kommt sie in die Industriestraße. Hier spricht sie u.a. mit der Sozialpädagogin Karina Hauck. Diese hat früher selber als Deutschlehrerin in der Ukraine gearbeitet und weiß aus eigener Erfahrung, wo bei den "Neudeutschen" der Schuh drückt.

Obwohl die junge Pädagogin in der Ukraine an einer Universität studiert und dann als Lehrkraft gearbeitet hat, wurde ihre Qualifikation hier in Deutschland nicht anerkannt. Das hat sie frustriert, aber nicht entmutigt. Nochmals absolvierte sie ein ganzes Studium an der Gesamthochschule in Bamberg. Als Beratungskraft arbeitet sie nun seit drei Jahren beim Roten Kreuz in der Kreisstadt.

Die Migrationsberatungsstelle steht allen Ausländern, Flüchtlingen und sogar EU-Bürgern offen. Tatsächlich kommen vor allem Aussiedler aus Kasachstan und Russland, sagt Frau Hauck. Sie sind dankbar, wenn ihnen jemand beim Ausfüllen der komplizierten Formulare von Ämtern und Behörden oder bei der Arbeitssuche hilft.

Das ist auch der Hauptgrund bei Irina Sytnikov. Immer wieder sichtet sie gemeinsam mit Karina Hauck die in Frage kommenden Stellenanzeigen in der Zeitung und im Internet. Immer wieder setzt sie sich hin und schreibt tapfer eine neue Bewerbung. Und immer wieder hält sie einen Brief in den Händen, der ihr in höflichen, aber unpersönlichen Floskeln sagt, dass sie nicht gebraucht wird.

Dabei hat die Mutter eines erwachsenen Sohnes fast ihr ganzes Leben lang gearbeitet. Aufgewachsen ist sie in dem kasachischen Dorf Kaminka. In ihrer Familie wurde praktisch nur Deutsch gesprochen und als sie in die Dorfschule kam, musste die kleine Irina erst einmal richtig russisch lernen. Der Vater arbeitete als Tierarzt und musste eine große Familie ernähren, denn Irina hat noch neun Geschwister.

In der ehemaligen Sowjetunion galt die Religion nach einem Ausspruch von Marx als Opium des Volkes. Eine Kirche gab es in der 3.000-Einwohner zählenden Ortschaft nicht. Obwohl es verboten war, trafen sich die Deutschstämmigen in dem Ort heimlich bei der Oma, um gemeinsam zu beten, erinnert sich Frau Sytnikov. Nach dem siegreichen Krieg gegen Nazideutschland wurden die Menschen mit deutschen Wurzeln schikaniert und gedemütigt, ihre Großeltern lebten ständig in Angst, erzählt sie mit Tränen in den Augen.

Mit 17 Jahren zog Irina Sytnikov in die kasachische Hauptstadt Astana, wo sie zuerst als Verkäuferin und später als Verwalterin in einem Warenhaus arbeitete. Dort heiratete sie 1973 und im gleichen Jahr kam ihr Sohn zur Welt. Mit dem Ende der Sowjetunion und der politischen Wende, der Perestroika, eröffnete sich eine Perspektive, von der man jahrzehntelang nur träumen konnte: die Ausreise nach Deutschland.

Und so landete die Familie Sytnikov 1993 in dem verschlafenen Bramberg in den Haßbergen. Das Ehepaar besuchte zusammen mit dem Sohn erst mal den sechsmonatigen Sprachkurs in Ebern, bevor alle ein Jahr später nach Haßfurt zogen. Sie waren heilfroh, als Irina in einer Matratzenfabrik und ihr Mann bei einem Sägewerk in Zeil Arbeit fanden.

Das ist nun lange her. Inzwischen bezieht ihr Mann bereits Rente, aber Irina Sytnikov sucht unverdrossen einen Arbeitsplatz. Mit einem Minijob als Reinigungskraft und ergänzender Hartz-IV Stütze hält sie sich über Wasser, aber eine Dauerlösung ist das nicht. Zwar kann sie nach einem Bandscheibenvorfall keine Akkordarbeit mehr leisten und auch nicht ständig stehen. Aber eine sitzende Tätigkeit im Büro oder idealerweise in einem Lager - das wäre ihr größter Wunsch für 2011!