Nicht wegschauen, sondern helfen!
Die Scheu vor Erster Hilfe ist unbegründet. Jeder kann etwas tun, denn im Notfall kommt es auf die ersten Minuten an.
EBERN - Regungslos liegt ein Mann auf dem Marktplatz mitten auf der Straße, nur wenige Meter vom Rathaus entfernt. Er ist plötzlich zusammengebrochen, seine Atmung hat ausgesetzt und sein Herz aufgehört zu schlagen. Wenn ihm jetzt nicht sofort geholfen wird und Passanten mit einer Herz-Lungen-Wiederbelebung beginnen, stirbt er. Nur wenn Ersthelfer unmittelbar mit der Reanimation beginnen, steigen die Chancen des Bewusstlosen, den Herzstillstand zu überleben.
"Wir brauchen Hilfe, kommen Sie, unterstützen Sie uns!" Milena Strobel, ehrenamtlich als Rettungssanitäterin im Rettungsdienst und zudem in der BRK-Bereitschaft Ebern engagiert, ruft Vorbeigehenden laut zu und fordert sie zur Mithilfe auf, während sie auf der Straße über dem Mann kniet und mit beiden Händen fest auf seinen Brustkorb drückt und schon seit über fünf Minuten die Herz-Druck-Massage durchführt. Das strengt unglaublich an und zehrt an den Kräften. Die 23-Jährige braucht jetzt eine Ablösung. Doch die meisten Passanten gehen vorbei.
Zum Glück ist das Szenario nur gestellt und am Sonntagnachmittag beim "Tag der Vereine" des Kulturrings auf dem Eberner Marktplatz. Aber es kann sich genau so jederzeit und überall in der Realität ereignen. Wenn Mitmenschen dann auch vorbeigehen, egal ob aus Teilnahmslosigkeit oder Unsicherheit, ist für einen Betroffenen sein Schicksal so gut wie besiegelt, ein Überleben unwahrscheinlich.
Denn: "Mit jeder Minute, die nach einem Herzstillstand vergeht und in der keine Reanimation begonnen wird, sinken die Überlebenschancen um zehn Prozent", sagt Michael Will, Pressesprecher des BRK-Kreisverbandes Haßberge. "Nach fünf Minuten stehen die Chancen also 50:50." Bis der Rettungsdienst eintrifft, dauere es nach einem Notruf in aller Regel zwischen acht bis zwölf Minuten - je nach Entfernung. "Umso wichtiger ist es, dass Ersthelfer sofort reagieren und zupacken. Sie sind ein wichtiges Glied in der Rettungskette."
"Es ist erschreckend, wie viele Menschen einfach vorbeilaufen, auch wenn man sie direkt anspricht und um Hilfe bittet", sagt Milena Strobel, die bei der Reanimation von Sophia Krell, ebenfalls Mitglied der BRK-Bereitschaft Ebern, unterstützt wird und die die Beatmung des Patienten durchführt. Dass Menschen an akut erkrankten oder verletzten Personen vorbeigehen und lieber wegschauen als zu helfen, ist auch in der Realität immer wieder der Fall. "Dabei ist das in den seltensten Fällen wirkliche Teilnahmslosigkeit oder Gleichgültigkeit einem Verletzten oder Erkrankten gegenüber", sagt Michael Will. "Viele Menschen haben schlichtweg Angst, etwas falsch zu machen und überlassen die Erste Hilfe lieber anderen." Andere könnten sicher besser helfen, bekommen Rettungskräfte immer wieder zu hören. Doch wenn jeder so denke, müssten Betroffene mitunter lange warten, bis überhaupt jemand Hilfe leistet.
"Dabei ist das im Grunde genommen doch so einfach", verdeutlicht Will. Jeder Einzelne sei nicht nur gesetzlich verpflichtet, Erste Hilfe zu leisten, vielmehr sei Erste Hilfe ebenso ein Zeichen von Mitmenschlichkeit und Zivilcourage. "Wegschauen gehört sich nicht." Schließlich könne jeder selbst zu jederzeit in die Lage kommen, bei einem medizinischen Notfall auf die Hilfe anderer angewiesen zu sein. "Es wünscht sich dann jeder selbst, dass ihm geholfen wird."
Die Sorge, beispielsweise bei einem Herzstillstand etwas falsch zu machen oder dem Betroffenen weiteren Schaden zuzuführen, sei unbegründet. "Wenn man nichts tut, stirbt der Betroffene mit hoher Wahrscheinlichkeit", unterstreicht Michael Will die Dramatik eines solchen Geschehens. Deshalb sei jeder Versuch der Ersten Hilfe lohnenswert. "Das einzig Falsche ist, nichts zu tun!"
Hilfe für einen Betroffenen fängt dabei schon mit einfachen Dingen an. Man holt so schnell wie möglich Hilfe und wählt den Notruf 112. So können Rettungsdienst und Notarzt umgehend zum Ort des Geschehens alarmiert werden. Danach kümmert man sich weiter um einen Hilfsbedürftigen. "Ist der Patient bewusstlos, aber atmet normal, dann bringt man ihn in die stabile Seitenlage", sagt Will, selbst im Rettungsdienst tätig. Sei der Mensch bewusstlos und atme nicht mehr oder nicht normal, müsse sofort mit der Reanimation begonnen werden.
Dabei wird 30-mal auf die Mitte des Brustkorbs gedrückt, etwa fünf bis sechs Zentimeter tief und 100- bis 120-mal pro Minute. Nach jeweils 30 Brustkorb-Kompressionen gibt man der Person zwei Atemspenden per Mund-zu-Mund-Beatmung. Danach erfolgen erneut 30 Kompressionen des Brustkorbs. "Das macht man so lange und ununterbrochen, bis der Rettungsdienst eintrifft und folgt dann den Anweisungen der Kollegen."
Wer sich bei einer Reanimation unsicher ist, erhält bei einem Notruf Unterstützung durch die Mitarbeiter der Integrierten Leitstelle (ILS) in Schweinfurt, die für die Alarmierung und Koordinierung des Rettungsdienstes und der Feuerwehren in der Region Main-Rhön zuständig sind. "Die Kollegen in der Leitstelle unterstützen Ersthelfer mit genauen Anweisungen per Telefonreanimation - und zwar so lange, bis der Rettungsdienst eintrifft", informiert der BRK-Sprecher. Umso unbegründeter sei eine mögliche Sorge, nicht zu wissen, was zu tun ist.
Zudem sei für Ersthelfer wichtig, sich selbst Hilfe zu holen und Umstehende um Unterstützung zu bitten. Am besten sei, Mitmenschen direkt anzusprechen. Nicht einfach fragen, ob jemand helfen kann. "Sprechen sie die Leute direkt an", rät Michael Will. "Zum Beispiel: ,Sie, mit der blauen Jacke, kommen Sie bitte her und unterstützen mich.?" Wenn Passanten direkt angesprochen werden, fällt es ihnen schwerer, einfach weiter zu gehen. "Sie fühlen sich dann in der Pflicht."
Und so gelingt es schließlich auch am Sonntag, den ein oder anderen Besucher, der über den Marktplatz schlendert und sich über das Angebot der Vereine an diesem besonderen Tag informieren will, zur Mithilfe zu bewegen. Nach kurzer Einweisung durch die ehrenamtlichen Helfer beginnen die Passanten, an der Übungspuppe die Herz-Lungen-Wiederbelebung durchzuführen. Das klappt reibungslos, Sorgen oder Berührungsängste sind verflogen.
Beeindruckt zeigte sich Rettungsassistent und BRK-Bereitschaftsleiter Rudi Hauck vom Interesse und Engagement gerade von Kindern und Jugendlichen. "Viele haben sofort mitgemacht und nicht gezögert", freut sich Hauck. "Das ist toll." Und die Jüngeren sind sehr wissbegierig und interessieren sich dafür, wie man eine Reanimation am besten durchführt. Überhaupt plädiert der Bereitschaftsleiter dafür, nach Möglichkeit schon Kinder an Erste Hilfe und die Herz-Lungen-Wiederbelebung heran zu führen. "Denn sie gehen viel offener damit um und wollen gerne nach ihren Möglichkeiten helfen."
So wird gemeinsam mit den Kollegen von der BRK-Wasserwacht, der DLRG-Ortsgruppe und der Feuerwehr an diesem Sonntagnachmittag auf dem Marktplatz an mehreren Phantomen die Reanimation parallel geübt. Beim ein oder anderen Besucher ist dabei sogar Freude und ein wenig Stolz zu erkennen, über den eigenen Schatten gesprungen zu sein und geholfen zu haben. "Das ist doch ein gutes Gefühl", ist sich Rudi Hauck sicher.
Wer Interesse hat, seine Kenntnisse in Erster Hilfe aufzufrischen oder zu vertiefen, kann sich natürlich jederzeit beim BRK-Kreisverband Haßberge unter Tel. 09521/9550-0 melden und sich dort für einen neun Unterrichtseinheiten (à 45 Minuten) dauernden Erste-Hilfe-Kurs in seiner Nähe anmelden.
Neben der Unterweisung in Herz-Lungen-Wiederbelebung hatten die BRK-Bereitschaft und die Wasserwacht gemeinsam einen Informationsstand aufgebaut. Dort gab es Informationen über die Aufgaben der Helfer sowie Hinweise zu Möglichkeiten, sich gerne auch selbst ehrenamtlich in einem motivierten Team zu engagieren. Zudem versorgte die Wasserwacht die Besucher am Nachmittag im Rathaus mit Kaffee und Kuchen.
<hr />
PM 054 / 2017. Text: Michael Will / BRK. Fotos: Daniel Brunnhuber (BRK), Jochen Zürl (Wasserwacht).